Donnerstag, 17. Februar 2011
1.
„Es muss hier irgendwo sein!“ murmelte er, vor sich hin und suchte weiter. Er war noch ziemlich ruhig, wahrscheinlich zuversichtlich, dass er das was er sucht auch findet. Ich saß auf dem Bett und beobachtete diesem Menschen bei Suchen und bis heute weiß ich nicht mehr was er gesucht hat. Damals war ich vier oder fünf Jahre alt. Ich studierte ihn genau: Jedes Wort, jede hektische oder ruhige Bewegung. Jedes laute oder leise Wort saugte ich auf, aber was ich dabei dachte weiß ich nicht mehr. „Ich hab es doch hierhin getan.“ Weißt du wo es ist?“ An meine Antwort habe ich auch keine Erinnerung mehr, doch er hörte sie auch nicht, denn er suchte weiter und wurde dabei immer hysterischer und verzweifelter. Ich wusste (und weiß immer noch) bald kommt der Moment in dem ich abschalten muss um zu überleben. Schon fielen auch die ersten Bücher aus dem Regal und landeten hart auf dem Boden, über welchen seine Schritte laut und schnell herumirrten. ‚Jetzt, bevor es zu spät wird. Jetzt!‘ Ab diesem Augenblick sah ich nur noch zu und fühlte weder, noch hörte ich etwas. Ich war nur noch präsent, aber so sehr, dass ich auch jetzt wieder in diesem Zimmer auf dem Bett sitze und meinen Vater beim Ausbruch zusehe, wenn ich auch nur daran denke. Nach und nach waren alle Bücher im Zimmer verteilt, vermischt mit tausend Papieren und sonstigen Habseligkeiten meiner Eltern: Teller, Gläser, Tassen, Löffel bildeten ein wirres Durcheinander. Er lief immer noch umher, schaute in die leeren Schränke, hob hier und da mal ein Buch auf um es zum fünften Mal durchzublättern und es anschließend wieder auf den Boden zu schmeißen, mit einer solchen Wucht, dass das Zimmer vor Wut bebte, denn jetzt war er richtig wütend. Mich bemerkte er nicht mehr, ich war nur da und schaute ihn an. Ein weiteres Glas flog dicht an meinem Kopf vorbei und traf die Tür, wobei es in Millionen kleine Stückchen zerbrach, die sich vor mir ausbreiteten. Ich zuckte nicht mal zusammen. Um mich herum war eine Festung und ich war sicher in meinem Luftschloß. Sein Mund ging auf und zu, aber seine Laute drangen nicht zu mir, sie konnten mich nicht berühren. Ein Teller erleidete dasselbe Schicksal wie die Tasse vorher. In diesem Moment sah er mich an und ich war nun auch für ihn vollkommen da. Seine Lippen bewegten sich auf mich zu, sein Blick wurde traurig und seine Haltung drückte Verzweiflung aus. Er kniete nun vor mir und weinte, rieß sich die Haare aus und sprach oder jammerte, ich hörte immer noch nichts. Er schüttelte mich, als ob ich ein Geheimnis verberge und er es aus mir rauskriegt in dem er so lange schüttelt bis es von alleine rausfällt. Aus einmal ließ er los und jede Regung in seinem Gesicht erstarrte und sein Blick war in die Leere gerichtet. Ich wusste, jetzt kann ich langsam rauskommen aus meinem Graben, denn es ist sicher. Es war still im Raum und ich schaute mich um. Mein Vater saß vor mir inmitten von Büchern und Scherben, mit einem leeren Ausdruck. Jetzt war er weg, ganz weit weg. Das Zimmer war ein Kriegsschauplatz und wie in jedem Krieg gab es Opfer. Mit diesem ersten Kampf, fing ein jahrelanger Krieg an und der Grund ist unbekannt, denn bis heute weiß ich nicht was er gesucht hat und seither sucht.

... link (0 Kommentare)   ... comment